Der Wettbewerb für ein neues Barockschloss in Berlin (wa-2009784) las sich für uns wie die Herausforderung einer Museumsarchitektur post-Bilbao: Statt eines ikonischen Museums wurde ein Gebäude gefordert, dessen Volumetrie und Fassaden schon feststanden. Dies schränkte den Handlungsspielraum des Entwurfs stark ein, aber wir dachten, dass die fragwürdige Aufgabe für uns eine Möglichkeit schafft, die Ideen des Reenactment in der Architektur und des post-ikonischen Museums zu untersuchen. Den Umgang mit bekannten Objekten, die dennoch etwas Neues produzieren, kennen wir aus der Kunst. Doch im Gegensatz zu Duchamps Readymade, das ein banales Objekt durch Aufstellung an einem fremden Ort zum Exponat macht, sollte das neue Barockschloss exakt an seinem alten Ort erscheinen und eignete sich nicht für den Vergleich mit Duchamps Urinal. Es sei denn, man sähe im Schloss ein umgekehrtes Readymade, wie den Hausmeisterraum unter der Museumstreppe, der sich auf den dritten Blick als Installation von Fischli/Weiss erweist und aus bemaltem Polyurethan besteht. Das falsche Schloss am richtigen Ort wird ein umgekehrtes Readymade, wenn es als Kopie seiner selbst Form annimmt, und damit wird das Reenactment oder die Wiederaufführung zum Thema, der performative Akt, die Handlung des Kopierens und Erscheinens im Stadtraum.

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Wir schlugen das Modell eines Schlosses vor, das von innen fertiggestellt sein sollte, massiv aus Ziegeln gebaut, die dem barocken Volumen und Relief folgen und zugleich außen ohne Steinverkleidung und Verputz bleiben. Ein Sichtziegelrohbau, der die barocke Idee in sich trägt, aber das Bild nicht mitliefert. Wir wollten eine Form finden, die es erlaubt, die barocke Rekonstruktion als das zu zeigen, was sie ist: nicht ein Schloss, das verschwunden ist, sondern dessen architektonische Idee. Ohne Kuppel, denn diese war nicht Teil des barocken Schlosses und auch nicht des Parlamentsbeschlusses zur Schlossrekonstruktion. So kann das Schlossmodell Teil der Stadt werden, und mehr noch, Teil ihrer Architekturgeschichte, weil es eine zeitgenössische Beziehung zur Geschichte ermöglicht. Als umgekehrtes Readymade ist das Schloss präsent in der Stadt als Ausstellung, die Oswald Mathias Ungers mit seinem Berliner Stadtarchipel-Entwurf 1977, ebeno wie nach der Wiedervereinigung 1991 mit seinem Berlin Morgen-Entwurf in den Blick genommen hatte. Dieser enthielt neben dem Berliner Schloss andere interessante Reenactments wie El Lissitzkys Wolkenbügel und Adolf Loos‘ Chicago Tribune Säulenturm. Wie Ungers geht es uns nicht um die architektonischen Objekte an sich, sondern um deren morphologisch-typologische Beziehungen und damit um den Stadtraum, im Falle des Schlosses vor allem um die Beziehung des Schlosses zum Alten Museum. Mit einem zum Alten Museum sich öffnenden Schloss schlägt unser Entwurf vor, Schinkels noch nicht realisierte Idee einer unmittelbaren räumlichen Beziehung zwischen den beiden Bauwerken als Differenz zum historischen Schlossbollwerk umzusetzen.
Das Schloss als Exponat zeigt wie ein Architekturmodell die Idee. Was fehlt, ist das barocke Bild, um das es dem Deutschen Bundestag in seiner Mehrheitsentscheidung für den Wiederaufbau ging. Dieses Bild ist interessant, weil es zwar politisch beschlossen, aber nicht ebenso finanziert wurde. Laut Bundestagsbeschluss sollten die Barockfassaden durch Privatspenden errichtet werden, die zur Zeit der Ausschreibung nur in sehr geringem Umfang vorhanden waren. Unser Entwurf eines performativen Reenactment gibt die Verantwortung für die barocke Fassadenrekonstruktion an die Bürger zurück, indem diese die Fassadenelemente Stück für Stück und ohne zeitliche Begrenzung in privater Trägerschaft erwerben und realisieren können. Der Ziegelrohbau wird in dieser Perspektive zur Exponatrücklage für die Spender-Ornamente, er wird vom Exponat zum Display. Diese Oszillation zwischen Display und Exponat, zwischen Ausstellendem und Ausgestelltem, zwischen Zeigen und Gezeigt werden macht die beständige Unsicherheit des Rekonstruktionsprojekts spürbar, die dem paradoxalen Entschluss folgt, das größte kulturpolitische Bauwerk des wiedervereinigten Deutschlands zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Form eines Barockschlosseszu bauen.

Wilfried Kuehn und Simona Malvezzi, März 2024

Wilfried Kuehn, Johannes Kuehn, Simona Malvezzi | © Frank Zauritz



KUEHN MALVEZZI

Die Architekten Simona Malvezzi, Wilfried Kuehn und Johannes Kuehn gründeten 2001 ihr Büro Kuehn Malvezzi in Berlin. Sie haben zahlreiche Projekte umgesetzt, von Museen und Kulturbauten bis hin zu gemischt genutzten Gebäuden und Wohnprojekten. Zu ihren aktuellen Projekten zählen das interreligiöse House of One in Berlin (wa-2012401), der Umbau des Bâtiment d‘Art Contemporain in Genf, der Um- und Neubau der PHI Contemporary in Montreal sowie ein neues Gebäudeensemble an der Jannowitzbrücke in Berlin.