100 Jahre Günter Behnisch


Anlässlich des 100. Geburtstages von Günter Behnisch haben wir, Petra Behnisch, Elisabeth Spieker und ich, uns bei der Vorbereitung der Ausstellung intensiv mit den Schriften, Vorträgen, Projekten und Wettbewerben von Günter Behnisch und des Büros Behnisch & Partner auseinandergesetzt. Der Schwerpunkt meiner Betrachtung soll eine kleine Auswahl von unrealisierten Wettbewerbsbeiträgen sein, insbesondere solcher, die entscheidende Themen herausarbeiteten. Auch möchte ich mich hier der zentralen Rolle von Wettbewerben für die Entwicklung von Themen im Büro Behnisch & Partner widmen.


Oft wurden Wettbewerbsbeiträge als Experimentierfeld genutzt um auszutesten, welche neuen Themen, neuen Theorien tragfähig sein könnten. Wettbewerbe sind hier gut geeignet. Zum einen ist die Chance, dass sie umgesetzt werden, bei einem erfolgreichen Büro 10 zu 1, zum anderen liegt es in der Natur von Wettbewerben, dass man auf begrenztem Raum (oder besser Papier) mit wenigen Strichen ein Konzept, eine Idee darstellen und im Idealfall eine Geschichte erzählen kann. Es geht nicht ausschließlich um die Realisierbarkeit, sondern auch um die Angemessenheit der Lösung für diesen Ort, für diese Aufgabe und für diese Auftraggeber – immer gesehen im zeitlichen Kontext.

Ein Preisgericht, das zwar die Aufgabenstellung kennt, kann sich jedoch nicht so intensiv damit auseinandersetzen wie diejenigen, die die Aufgabe über Monate bearbeitet haben. Deshalb muss die Idee, das Konzept unmittelbar und schlüssig vermittelt werden – mit einem Wettbewerbsbeitrag, der gut lesbar, nachvollziehbar ist und die „artbildenden Unterschiede“ und Stärken überzeichnet und herausgearbeitet hat. Oft ergibt sich die Gelegenheit, anhand einer herausfordernden Aufgabe hier etwas Neues, etwas Prägnantes, ja etwas Einzigartiges zu finden. Und wenn man dann Glück hat und es gut vermitteln konnte, so mag ein Preisgericht die Qualitäten erkennen.

Die Architektur leidet oft darunter, dass Auftraggeber ungern etwas umsetzen lassen, was nicht vorher schon mehrfach erfolgreich realisiert wurde. Denken wir dies zu Ende, so stellen wir fest, dass Gebäude, die realisiert sind, mindestens fünf Jahre vorher gedacht, entwickelt, geplant wurden und dann zur Grundlage neuer Lösungen werden. So ist Innovation nicht möglich. Der Faktor Zeit, die Geschichte wird ignoriert. Die Welt und die Rahmenbedingungen haben sich verändert, bei den Lösungen jedoch greift man zurück auf das vermeintlich „Bewährte“.

Wettbewerbe bieten für uns Architektinnen und Architekten die Chance, Innovationen zu entwickeln und Neues zu denken. Sie ermöglichen aber auch, Auftraggeber*innen und der Gesellschaft im Allgemeinen besondere Lösungen und auch architektonische Fortschritte zu vermitteln. Dazu jedoch benötigen wir den Mut der Architektinnen und Architekten, sich auf solche Risiken einzulassen. Denn solchermaßen bearbeitete Wettbewerbe mit besonderen Konzepten und Ideen setzen nicht zwangsläufig auf „Sieg“. Auch das Preisgericht, die Fach- und Sachpreisrichter*innen mit den Vertreter*innen der Bauherrenschaft müssen nicht nur die Qualitäten erkennen, sondern auch den Mut haben, sie mitzutragen; und trotz aller Erkenntnis der Probleme an die Lösung dieser in den kommenden Planungsphasen glauben. Günter Behnisch äußerte sich hierzu im Zusammenhang mit der nur schwer durchzusetzenden Zeltdachlösung für die olympischen Anlagen in München. Das Dach, das allen zeige, „welche Kraft architektonische Ideen beinhalten können, welche Energien sie freisetzen können und das alle die Architekten und Planer widerlegt, die ihre Arbeit opportunistisch als „Vollzugsbeamte“ der sogenannten „bestehenden Verhältnisse“ erledigen“.

Die Innovation kann im Technischen, im Städtebaulichen, aber auch im Formalen liegen.

Wir zeigen Ihnen hier drei Beispiele des Büros Behnisch & Partner, die Günter Behnisch einmal als „liegengebliebene Perlen“ bezeichnete. Zu Recht stellte er fest, dass für uns die nicht realisierten Wettbewerbe die Idee im Nachhinein am schärfsten formulierten, da sie nicht durch die mit der Realisierung verbundenen Zwänge verändert oder kompromittiert wurden. Die gezeigten Beispiele setzen sich intensiv mit dem Ort und der Sichtbarkeit auseinander.

Das Haus der Geschichte in Baden-Württemberg nimmt die Nähe zum Neuen Schloss in Stuttgart als thematische Herausforderung. Der Raum ist beengt und hätte bei einer herkömmlichen Hochbaulösung den Garten auf der rückwärtigen Seite des Schlosses belegt, hätte die Sichtbarkeit von der damals konzipierten „Museumsmeile“ her stark eingeschränkt.

Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart | 1. Preis Behnisch & Partner, Stuttgart


Das Tagungszentrum der Messe Hannover sollte sichtbar sein, ein neues Zentrum im Meer der Hallen bilden. Das Programm jedoch war nicht so prominent, dass es im Quantitativen gegen die Massen der Umgebung hätte bestehen können. So wurde es in der Wettbewerbslösung weithin wahrnehmbar angehoben und formal
expressiv herausgearbeitet.

Ausstellungs- und Tagungszentrum Messe Hannover | 3. Preis Behnisch & Partner, Stuttgart


Beim Wettbewerb für den Plenarsaal des Bayrischen Landtags beschäftigte sich das Büro intensiv mit der Frage des Alten und Neuen und der Strukturierung der Sitzordnung; von der diskussionsfördernden kreisförmigen bis zu den bisherigen, mehr hierarchischen Lösungen. Es wurde ein deutlich zeitgenössischer Bau auf dem historischen Gebäude des Maximilianeums vorgesehen. Beim Studium der unterschiedlichen Arbeitsmodelle wird erkennbar, dass insbesondere die Ausgestaltung des Daches, der damit weithin sichtbare Charakter des Neuen lange diskutiert und in vielen Ansätzen bearbeitet wurde: Fraktale, segelförmige Lösungen führten über
Kuppeln bis hin zum dann letztendlich gewählten ruhigen Vorschlag.

Plenarsaal des Bayerischen Landtags, München | Sonderpreis Behnisch & Partner, Stuttgart


An diesen Beispielen ist zu erkennen, dass für das Büro Behnisch & Partner nicht die vordergründigen, funktionalen oder städtebaulichen Aspekte die bestimmenden Kriterien alleine waren, sondern dass man immer auch andere, weniger offensichtliche Themen bei der entwerferischen Arbeit diskutiert hat und diese oft für die Entwurfslösung bestimmend wurden.

Stefan Behnisch, Oktober 2022

Stefan Behnisch | Foto: © Christoph Soeder

Stefan Behnisch

1957
geboren in Stuttgart, absolvierte dort die Freie Waldorfschule, ein Studium der Philosophie an der Philosophischen Hochschule der Jesuiten in München sowie der Volkswirtschaft an der LMU, bevor er Architektur an der Uni Karlsruhe studierte


Seit 2004
Mitglied im RIBA (Royal Institute of British Architects), GB

2006
Gründung Behnisch Architekten LLP, Boston, MA, USA

2009
Gründung Behnisch Architekten GbR, München

seit 1998
Gastprofessuren in Europa (u.a. TU Delft) und USA (u.a. Yale School of Architecture)

seit 2002
diverse Auszeichnungen, darunter:

2007
Auszeichnung mit dem „Global Award for Sustainable Architecture“