Eine zeitreise mit h4a Gessert + Randecker Architekten, Stuttgart
Büro- und Empfangsgebäude der Haba-Firmenfamilie, Bad Rodach
Wenn ich heute ein junger Architekt wäre, würde ich mir einen ähnlichen Start wünschen wie damals vor über 20 Jahren bei unserem ersten eigenen realisierten Wettbewerbs-Projekt! Aufgabe war der Neubau eines Ausstellungs- und Empfangsgebäudes für das mittelständische Unternehmen HABA, eine Firma, die schon damals bekannt war für ihr hochwertiges Holzspielzeug und vielen Kindern in Form wagemutig gestapelter Holzspieltürme erste Begegnungen mit selbst geformten Architekturen ermöglichte.
Albrecht Randecker und ich, Martin Gessert, gründeten unser Büro 1998 in Zeiten flauer Konjunkturaussichten – ohne potenzielle Bauherren im Bekanntenkreis und ohne größere Aufträge in Sicht. Wir starteten unsere Selbstständigkeit wie viele andere auch mit Kleinstprojekten und freier Mitarbeit. Die Leidenschaft zu Wettbewerben war früh geweckt, am Ende des Studiums und als Zubrot zu unserer parallelen Tätigkeit in Stuttgarter Büros. Als junge Architekten nahmen wir an vielen niederschwelligen Verfahren teil, was damals glücklicherweise noch möglich war. Bei fröhlichen Diskussionen zu vielerlei Themen, gern bei einem Glas Wein, bearbeiteten wir die Planungs-aufgaben unter Ausnutzung aller potenziellen Spätabend- und Nachtzeiten – und in den ersten Jahren mit gewissem Erfolg. So hatten wir bereits mehrere erste Preise ergattert, die allesamt gemein hatten, dass sie aus den unterschiedlichsten Gründen nicht realisiert wurden. Dennoch motivierten uns natürlich auch die Preisgelder, die unser damaliges Jahresgehalt oft übertrafen, zum Weitermachen. In den Wettbewerben sahen wir das einzig mögliche Mittel zur Akquise und zur Umsetzung unserer Entwurfsideen.
In den Wettbewerben sahen wir das einzig mögliche Mittel zur Akquise und zur Umsetzung unserer Entwurfsideen.
Im Jahr 2002 lobte die Firma Habermaaß, beraten durch die Architektenkammer Bayern, einen offenen, europaweiten zweistufigen Wettbewerb für ein Ausstellungs- und Empfangsgebäude aus. Mit dem Neubau sollte ein Zeichen gesetzt werden für die Kontinuität des Unternehmens und den anstehenden Generationswechsel. Auch wenn Bad Rodach, der Stammsitz von HABA, amäußersten Zipfel im bayerischen Grenzraum liegt, geprägt von einer umgebenden ländlichen Idylle, forderten zur allgemeinen Überraschung nicht nur einige wenige Büros, sondern gleich über 300 Büros die auch für uns junge Architekten frei zugänglichen Wettbewerbsunterlagen an. Im an-schließenden zweistufigen Verfahren beteiligten sich über 200 Teilnehmer in der ersten Wettbewerbsphase, aus der wir uns gemeinsam mit 14 weiteren für die zweite Phase qualifizierten.
Unter der Leitung von Prof. Carlo Weber führte eine fachkundige Jury den Wettbewerb durch. Der Bauherr war nicht nur über das Verfahren, sondern auch vom Ergebnis unseres ersten Preises überrascht, da es so wenig in die orthogonale Welt der bisherigen HABA-Firmenbauten passte! Dass wir aufgrund der überwiegenden Bearbei-tung des Wettbewerbes in den Abendstundenden weiten Weg zum Wettbewerbsgelände gescheut hatten, schadete unserer Arbeit nicht – sondern verhalf ihr vielmehr zu der unbekümmerten und mutigen Sprache des Entwurfes (junger Architekten), die wir bei Kenntnis der umgebenden dörflichen Idylle und Nachbarschaft möglicherweise hinterfragt hätten. Uns war vielmehr klar, dass wir der Jury mit Carlo Weber auch außergewöhnliche, gut durchdachte Lösungen anbieten konnten, ohne befürchten zu müssen, in der ersten Runde ausgeschlossen zu werden. Bei den anschließenden Beauftragungsgesprächen hatten wir in ihm zudem einen guten Fürsprecher für unser junges Büro. Der Aufbruch zu neuem Denken und der Wunsch nach Neuem war allseits spürbar. Die Überwachung und Absicherung des Bauens sollte ein der Firma bereits langjährig verbundener Architekt übernehmen (vom Bauherrn liebevoll „Beton-Rudi“ genannt), um möglicherweise im Ernstfall in das Tun der jungen Architekten eingreifen zu können. Aber schon nach kurzer Zeit war gegenseitiges Vertrauen aufgebaut, das auch in späteren Jahren bis heute bei Folgeprojekten für die Firma HABA nicht enttäuscht wurde.
Über unser erstes gebautes Haus freuen wir uns heute, 20 Jahre später, immer noch. Der selbstbewusste Bau ist Sinnbild der Firmenphilosophie und schenkt dem Unternehmen eine unverwechselbare Identität. Die gläserne Eingangshalle mit seinen Treppen und großzügigen Galerien verbindet die einzelnen Bauteile zu einem archi-tektonischen Gesamtensemble. Durch den spielerischen Umgang mit Formen und Baukörpern entsteht ein spannungsreiches Raumgefüge als Inszenierung der Marke HABA. Im Rückblick bin ich von der Unbekümmertheit unserer Arbeit und der Lebendigkeit des Entwurfes immer noch angetan. Die Leichtigkeit der Wettbewerbszeich-nungen haben ihr Versprechen im Gebauten eingelöst und tragen den Entwurf bis heute.
Geschaffen haben wir ein Gebäude, das von seinen Besuchern und dem Bauherrn geschätzt und gepflegt wird. Nicht die Größe oder Bedeutung der Aufgabe prägt die Erinnerung, sondern vielmehr die Beziehung zu den Menschen, die wir bei unserem ersten Projekt geknüpft haben. Neben dem Gebäude selbst ist es das, was bleibt. Wenn ich heute wieder einmal in Bad Rodach unterwegs bin und mit einem Lächeln in der lichtdurchfluteten Eingangshalle am Empfang begrüßt werde, beginnt der Tag mit eben dieser Leichtigkeit – genauso, wie wir es uns bei der Bearbeitung des Wettbewerbs vorgestellt hatten. Und man wünscht sich bei allen Errungenschaften und allem Erfolg, der uns begleitete und zu einem 150 Mitarbeiter starken Büro führte, zumindest für eine Sekunde die Freiheit des Anfangs zurück.
Martin Gessert, Februar 2024
h4a Gessert + Randecker Architekten, Stuttgart
Martin Gessert
geboren 1962 in Köln, studierte Architektur ander RWTH Aachen und der ETH Zürich. 1998 gründete er gemeinsam mit Albrecht Randecker das Büro h4a Gessert + Randecker Architekten in Stuttgart. 2006 und 2008 folgten weitere Standorte in München und Düsseldorf. Heute zählt h4a Gessert + Randecker Architekten über 150 Mitarbeiter*innen und hat sich durch zahlreiche gewonnene Wettbewerbe und realisierte Projekte in den Bereichen Schul-, Büro- und Wohnungsbau sowie Kulturbauten einen Namen gemacht.