Irgendwas dazwischen

Der Neubau des Jüdischen Museums in Berlin ist schon mit vielen bildhaften Vergleichen versehen worden – ob zerborstener Davidstern oder Nachbildung eines Blitzes. Die dadurch fast schon verzweifelt wirkende Suche nach einer Symbolhaftigkeit zeugt von der Problematik, mit der expressiven Architektur von Daniel Libeskind umzugehen. 1989 als Sieger aus dem Wettbewerb  zum „Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum“ (wa-2000055) hervorgegangen, war der Neubau sein erster realisierter Entwurf. Und dieser fiel im Vergleich zu den anderen Beiträgen deutlich aus dem Rahmen. Im Gegensatz zu den sehr kompakten geometrischen und geordneten Baukörpern, die sich städtebaulich deutlich stärker integrierten und meist räumliche Abschlüsse für den Museumsblock bildeten, fand Libeskind eine auffällige und dynamische Form. Doch sein Bau erntete viel Kritik: Die zahlreichen Schrägen, verwinkelte und perspektivisch verzerrte Gänge und Vorsprünge sowie unregelmäßig eingeschnittene Fensterschlitze erzeugten bei den Besuchern ein Gefühl der Verunsicherung und Desorientierung. Das war beabsichtigt, sollte die Architektur doch Emo-tionen und Assoziationen hervorrufen wie beispielsweise der unvermeidlich an einen Schornstein erinnernde Gedenkraum für die Holocaust-Opfer, ein steiler Turm mit nur einem einzigen Fensterspalt. Wenngleich sich die am stärksten wirkende Kritik auf die Funktionalität bezog: Nicht nutzbare Flächen würden die Museumsarbeit deutlich erschweren, so Fachleute.  

Erweiterung Jüdisches Museum, Berlin | 1. Preis 9/1989 Daniel Libeskind, Berlin


Libeskind selbst betitelte seinen zeichenhaften Entwurf „Between the Lines“ – und in diesem „Dazwischen“ existiert vor allem eines: Leere. Den eigenwilligen, splitterhaften Grundriss entwickelte er aus zwei Linien: einer sichtbaren Zick-Zack-Linie und einer unsichtbaren geraden Linie. Als architektonische Elemente der symbolischen Leere liegen an den Kreuzungspunkten beider Linien sogenannte Voids (dt. Leerräume) – hohle Betonschluchten, die das Gebäude vom Untergeschoss bis zum Dach durchziehen, es vertikal spalten und zum Großteil nicht begehbar sind. Diese räumliche Leere soll nach Aussage des Architekten auf die Auslöschung der jüdischen Kultur in Deutschland verweisen.  
Die sich hieran anknüpfenden Fragen verweisen auf die postmoderne Museumsdebatte um Transparenz und Neutralität von Museumsbauten: Führt eine derartige  Architektur nicht dazu, dass das Außen wichtiger wird als das Innen? Also, wäre es nicht besser, wenn der Bau mit seiner Wirkung hinter dem zurückträte, was in ihm stattfinden soll? Der Neubau des Museums erhielt eine Signifikanz, die leider weniger mit der jüdischen Kultur als mit der Architektursprache Libeskinds zusammenhängt. Denn Tatsache ist, dass Libeskind mit seinem ersten realisierten Bau auch seine Handschrift und Architektursprache festlegte. Es folgten zahlreiche weitere Entwürfe in gleichen zersplitterten und gezackten Formen wie 1998 beispielsweise das Osnabrücker „Felix-Nussbaum-Haus“, ein kulturgeschichtliches Museum (wa-2000738). Und auch hier setzte sich Libeskind mit einer außergewöhnlichen Lösung gegen die eher statisch wirkenden und streng kubischen Baukörper von Giorgio Grassi oder Max Dudler durch.
Doch diese Formen blieben keineswegs nur Museumsbauten vorbehalten, wie das „Westside“, ein Einkaufzentrum in Bern, von 2008 belegt. Das an sich ist nicht zu verurteilen, aber für das Jüdische Museum insofern unglücklich, da das Gebäude so seinen einzigartigen Ausdruck verloren hat. Und – was noch tragischer erscheint – damit entzauberte Libeskind die Wirkung seines Erstlingswerks. Die eigenwilligen Formen verloren nachträglich ihre Bedeutung und stehen heute lediglich für ein vielleicht banales, aber dennoch sehr erfolgreiches Markenzeichen. Diese Entwicklung war selbstverständlich nicht vorauszusehen. Doch die entscheidende Weiche dafür wurde bereits in der Jurysitzung gestellt: Statt für den ausgeschriebenen Erweiterungsbau und eine gute städtebauliche Lösung, hatte man sich für eine nahezu eigenständige Signature Architecture entschieden.

Alexandra Apfelbaum, Mai 2023

Alexandra Apfelbaum | © Daniel Sadrowski

Alexandra Apfelbaum

Dr. Alexandra Apfelbaum ist seit 2009 als freiberufliche Kunst- und Architekturhistorikerin tätig. Seit 2018 hat sie die Vertretungsprofessur für Geschichte und Theorie von Architektur und Stadt an der Fachhochschule Dortmund inne.
Ihr Schwerpunkt sind Forschungen zu den Schnittstellen von Architektur und Kunst des 20. Jhs. mit Fokus auf NRW und der Nachkriegszeit. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Initiative Ruhrmoderne.
Jüngere Publikationen:
• JPK NRW. Der Architekt Josef Paul Kleihues in Nordrhein-Westfalen, hg. von Alexandra Apfelbaum, Silke Haps und Wolfgang Sonne, Dortmund 2019
• Von Stahlschachteln und Bausystemen. Zum Umgang mit Stahlbauten der Nachkriegszeit, hg. von Alexandra Apfelbaum und Silke Haps, Dortmund 2019.