Roger Boltshauser und Axel Frühauf
Wettbewerb Matthäus-Areal Frankfurt am Main Ausgabe 07|2025 – wa-2036375
Mehr Bürokratie und Mut wagen
Zugegeben – das klingt sehr paradox in einer Zeit, in der allerorts der Abbau von Bürokratie gefordert wird, um unsere schwächelnde Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Doch wir sollten Folgendes nicht vergessen: Die Bürokratie unserer demokratischen Ordnung ist kein Selbstzweck. Sie schützt uns vor Willkür und Beliebigkeit. Genau darin liegt ihr eigentlicher Wert für uns als Bürgerinnen und Bürger.
Gleiches lässt sich für den Berufsstand auf die Regulierung von Wettbewerbs- und Vergabeverfahren übertragen: Sie gibt den zahllosen engagierten Kolleginnen und Kollegen einen verlässlichen Rahmen für ihr grenzenloses, oft altruistisches Engagement für die Baukultur. Wettbewerbe, die unter den Augen der Architektenkammern RPW-konform vorbereitet und durchgeführt werden, geben diesem Engagement eine tragfähige Grundlage. Umso befremdlicher ist es, wenn im Anschluss an solche Verfahren die Vergabe im regelbefreiten Raum erfolgt: oft ohne das ursprüngliche Preisgericht, ohne Verfahrensbetreuung, ohne transparente Kriterien, ohne schriftliche Begründung.
Ob die Abkehr von der zuvor zugesicherten Selbstbindung an die RPW auch rechtlich bedenklich ist, müssen Juristen klären. Klar ist jedoch: Wo das Vergaberecht – etwa bei öffentlichen Aufträgen – einen verfahrenssicheren Rahmen schafft, öffnet es auch den Rechtsweg. Bei nicht öffentlichen Auftraggebern hingegen fehlt dieser Schutz. Dass etwa eine Kirche, die letztlich auch aus Steuermitteln unterstützt wird, sich diesem Rahmen nicht unterwerfen muss, wirft Fragen auf. Auch wenn das juristisch korrekt sein mag, bleibt eine moralische Verantwortung bestehen. Gerade Kommunen, in denen solche Bauvorhaben umgesetzt werden, tragen hier Mitverantwortung. Denn wenn sie zu Recht auf Wettbewerbe bestehen, sollten sie auch darauf hinwirken, dass diese zu einer ebenso transparenten Vergabe führen wie öffentliche Verfahren. Sonst verliert der gesamte Wettbewerb seine Legitimität.
Es wäre zu kurz gegriffen, den Teilnehmenden vorzuwerfen, sie hätten sich freiwillig auf ein fragwürdiges Verfahren eingelassen – oder ihre Kritik speise sich lediglich aus Enttäuschung über den Ausgang. Natürlich trägt jeder, der sich auf ein solches Verfahren einlässt, auch das Risiko. Doch gerade die, die sich dem Wettbewerb immer wieder stellen, tun das nicht aus Kalkül, sondern aus Überzeugung: Es ist diese Haltung, die Architektur voranbringt.
Auch im Fall des Matthäusareals war es die Überzeugung, die uns getragen hat: Unser Beitrag setzte sich mit Nachdruck und gestalterischer Konsequenz mit den Prinzipien des nachhaltigen Bauens auseinander. Im Zentrum standen die „5 R‘s“ – Refuse, Reduce, Reuse, Recycle, Rot – nicht als bloße ökologische Floskeln, sondern als entwurfliche Haltung. Ein Versuch, klimagerechtes Bauen nicht nur zu denken, sondern sichtbar zu machen.

Zwei Aspekte unterstreichen die Dringlichkeit dieses Ansatzes: Erstens die ethische Dimension. Was könnte christlicher sein, als alles zu tun, um die Schöpfung zu bewahren? Zweitens die bauliche Wirklichkeit: Auch unser Beitrag sieht ein Hochhaus vor. Und dennoch ist das kein Widerspruch. Denn wenn im urbanen Kontext aus Gründen der Flächeneffizienz ein Hochhaus entsteht, dann muss es umso mehr den Anspruch erfüllen, zukunftsfähig zu sein. Unser Entwurf begegnet dieser Verantwortung mit einem maximal kompakten Baukörper, einer energiegewinnenden Fassade, einer radikalen Reduktion von Beton sowie dem Ziel, auch in der Bauweise suffizient und effizient zu agieren.
Doch innovative Konzepte benötigen auch Expertise in der Bewertung. Nur so lassen sich Entscheidungsträger ermutigen, neue Wege zu gehen. Was uns bleibt, ist der Appell: Wenn wir ernsthaft den Anspruch verfolgen, die Bauwende aktiv mitzugestalten, müssen wir die Verfahren entsprechend aufstellen. Denn ein Beitrag, der sich mutig der Zukunft stellt, verdient ein Verfahren, das dieser Haltung gerecht wird. Alles andere wäre eine vertane Chance.
Roger Boltshauser – Boltshauser Architekten, Zürich
Axel Frühauf – Meck Architekten, München

