Eine zeitreise mit Alexandra Apfelbaum
Der gebaute Diskurs wird zur Debatte – und nicht gebaut
Auf einer der historisch bedeutsamsten und städtebaulich reizvollsten Platzanlagen Europas, dem Aachener Katschhof, sollte zwischen dem Weltkulturerbe des Doms und dem historischen Rathaus mithilfe eines begrenzt offenen, zweiphasigen Realisierungswettbewerbs im Jahr 2005 das europäische Kulturzentrum „Bauhaus Europa“ entstehen. An der südwestlichen Kante des rechteckigen Platzes, dem Bereich der ehemaligen Pfalzanlage Karls des Großen, plante man, den dort seit den 1960er-Jahren bestehenden Verwaltungsbau abzureißen und auf seinem Grundstück als Initialprojekt der EuRegionale 2008 den Neubau eines Kultur- und Begegnungszentrums entstehen zu lassen. Darin vorgesehen waren neben einem großen Ausstellungszentrum ein Forum als Veranstaltungsbereich sowie ein Servicegebäude. Die Stadt forderte einen baulich-kulturellen Kristallisationspunkt der europäischen Geschichte Aachens – also nicht unbedingt eine zurückhaltende Architektur in dem historisch und stadträumlich äußerst fragilen Kontext. Grundlage des Wettbewerbs bildete eine Studie des niederländischen Büros OMA/Rem Koolhaas zur Aufwertung des Standortes.
Nach 1500 eingegangenen Bewerbungen wurden für die Abgabe zur ersten Phase 62 Arbeiten ausgewählt und für die zweite Phase acht, aus denen das Preisgericht am 10. Januar 2006 den Entwurf des Wiener Architekten Wolfgang Tschapeller zur Realisierung empfahl. Nach eigener Aussage definierte er „den Diskurs als Element der europäischen Geschichte“ und damit auch das Ziel seines Entwurfs: „die Materialisierung dieser Haltung auf dem Grundstück“. Der gläserne Baukörper, der sich vom Katschhof bis zur Klostergasse erstreckt, umspannt einen nahezu über die gesamte Gebäudehöhe durchgehenden Innenraum. Boden und Seitenwände falten sich zu einer großen Tallandschaft auf, in der sich das Raumprogramm organisiert: Auf der Unterseite befinden sich Bereiche für Wechselausstellungen und das Forum, darüber solche für die Dauerausstellung. Forschungsbereiche sind als „artifizielles, tektonisches Wolkensystem“ in den gebäude- hohen Luftraum über dieser Ebene eingehängt. Die sichtbare Deckenkonstruktion aus Stahlfachwerk sowie ein auf zwei Schienen laufender, kranartig ausgebildeter Steg für Besucher verleihen dem Bau einen experimentellen Charakter.
Doch bereits in der zweiten Phase des Wettbewerbs Ende 2005 wurde erste Kritik laut. Umstritten war vor allem die Finanzierung des Projektes. Gegner kritisierten das Bauvorhaben als „Steuerverschwendung“, aber nach der Entscheidung geriet auch die Architektur selbst in die Kritik: Die amorphe Glasfassade reduziere doch die Strenge des historischen Platzes. Noch im Sommer 2006 stimmte der Rat der Stadt mehrheitlich für die Errichtung des Kulturzentrums. Es folgte erneut eine intensive Debatte, die schließlich am 10. Dezember 2006 in einem Bürgerentscheid mündete und bei dem sich von 80.000 abgegebenen Stimmen 60.000 gegen das Projekt aussprachen. Tschapellers „materialisierter europäischer Diskurs“ fand damit sein tragisches Ende und wurde nicht gebaut.
Alexandra Apfelbaum | Mai 2022
Alexandra Apfelbaum
Dr. Alexandra Apfelbaum ist seit 2009 als freiberufliche Kunst- und Architekturhistorikerin tätig. Seit 2018 hat sie die Vertretungsprofessur für Geschichte und Theorie von Architektur und Stadt an der Fachhochschule Dortmund inne.
Ihr Schwerpunkt sind Forschungen zu den Schnittstellen von Architektur und Kunst des 20. Jhs. mit Fokus auf NRW und der Nachkriegszeit. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Initiative Ruhrmoderne.
Jüngere Publikationen:
• JPK NRW. Der Architekt Josef Paul Kleihues in Nordrhein-Westfalen, hg. von Alexandra Apfelbaum, Silke Haps und Wolfgang Sonne, Dortmund 2019
• Von Stahlschachteln und Bausystemen. Zum Umgang mit Stahlbauten der Nachkriegszeit, hg. von Alexandra Apfelbaum und Silke Haps, Dortmund 2019.