Die EM-Fußballzeit lenkt für Architekturfreunde auch das Interesse auf die Stadionbauten – und für uns auf die in wa dokumentierten Verfahren. Viele Länder nutzen die Großereignisse WM und EM dafür, ganze Stadionfamilien neu zu errichten, Südafrika, Brasilien, Polen/Ukraine zum Beispiel, nicht immer sinnvoll und nachhaltig, wie die leerstehenden „weißen Elefanten“ in Südafrika zeigen. Deutsche Architekten und Ingenieure mischen kräftig mit, allen voran gmp mit sbp schlaich bergermann und partner. Ihre Arenen zählen zu den schönsten der letzten Jahre. Für den Bau von Fußballstadien gibt es wenige Parameter: gute Sicht von allen Plätzen, zügiger Zu- und Abgang, ein Dach für die Zuschauer, freier Himmel über dem Spielfeld, damit der Rasen nicht mickert. Schüssel mit Dach darüber, eine simple Bauaufgabe nach Schema F, sollte man meinen. Besonders bei Großstadien hat sich wegen der Spannweiten eine Bauweise als materialsparend und wirtschaftlich herausgestellt, die Zugseilkonstruktion nach dem Fahrrad-Speichenprinzip. Ein innerer Zugring über dem Spielfeld wird an radialen „Speichen“ am Druckring abgehängt, der rings um die Schüssel aufgeständert ist. Bei kleineren Stadien werden die Schüsseln herkömmlich per Kragkonstruktion überdacht.
Bei der Münchner Allianz Arena, größenordnungsmäßig ein Grenzfall, standen im Wettbewerb beide Lösungen auf einem ersten Platz: das Seiltragwerk von gmp/spb und die später realisierte Kragarmlösung von Herzog & de Meuron, das „Schlauchboot“ (wa-ID: wa-2005651 wa 7/2005).  

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In Deutschland mit seiner langen Stadiontradition und steht weniger der Neubau als vielmehr die Ertüchtigung von Bestandsbauten im Vordergrund. Dabei ist die konstruktive Trennung zwischen Schüssel und umfangendem Dach von großem Vorteil.
In Nürnberg etwa war das 1928 von Otto Ernst Schweizer als Achteck erbaute Stadion zu überdachen (wa-ID: wa-2000098 wa 7/1987). Unter den Einreichungen gab es einige Seilkonstruktionen, darunter einer der drei ersten Preise (Grabow & Hofmann), der sich am Münchner Olympiadach von Behnisch/Frei Otto orientierte. Gebaut wurde jedoch ein zweistufiges, über Zugseile von außen abgehängtes Kragdach (Günther Wörrlein), das dem Bestandsbau formal zuträglicher schien (wa 12/1991).
Ähnlich war beim Niedersachsenstadion in Hannover vorzugehen (wa-ID: wa-2003321 wa 12/2000). Schulitz + Partner entwickelten eine schwungvoll wogende Seilkonstruktion nach dem etwas modifizierten Speichenradprinzip, deren Stützen das Stadionrund nicht beeinträchtigen. Gegenüber dem zweitplatzierten Entwurf von Auer Weber Architekten, der 28 Vierendeelträger vorsah und eine sehr große Bauhöhe benötigte, werden die Vorzüge des Seiltragwerks unmittelbar augenscheinlich.
Ein eher trauriges Kapitel ist die Planung „Tor auf Schalke“ (wa-ID: wa-2012791 wa 2/2013), mit der das weitläufige Gelände städtebaulich neu geordnet und zukunftsfähig gemacht werden sollte. Traurig deshalb, weil die Zukunft des Vereins nach dem Bundesligaabstieg derzeit düster aussieht. Den Wettbewerbsgewinnern Schulz und Schulz, selbst passionierte Schalke-Mitglieder, wurde vom Preisgericht eine „herausragende und ansprechende Arbeit“ bescheinigt. Der Bau des Besucherzentrums liegt freilich auf Eis. Nicht nur die Architekten hoffen auf baldigen Wiederaufstieg.

Falk Jaeger

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Falk Jaeger

1971 – 1977 Studium Architektur und Kunstgeschichte in Braunschweig, Stuttgart und Tübingen, Promotion TU Hannover

seit 1976 freier Architekturkritiker

1983 – 1988 Assistent am Institut für Baugeschichte und Bauaufnahme der TU Berlin, Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen

1993 – 2000 Lehrstuhl für Architekturtheorie, apl. Professor TU Dresden

2001 – 2002 Chefredakteur bauzeitung

seit 2002 freier Publizist, Dozent, Kurator und Fachjournalist für Rundfunk, Tages- und Fachpresse in Berlin