Neulich im Chillida-Leku-Museum, nahe San Sebastian, schätzt eine amerikanische Besucherin eine Busladung fotografierender Österreicher richtig ein. „You‘re a group of architects, right?“ Auf meine Nachfrage, woran sie es gemerkt habe, gibt sie zwei Begründungen: „First, you‘re mostly dressed in black.“ Gut. „Second, because of the way you choose the angle for your pictures.“ Dieser letzte Satz, die behauptete Uniformität der Architekten-Blickwinkel, hat Potenzial für weitere Erörterung – etwa am Beispiel des Wettbewerbs „Galerie- und Geschäftsgebäude am Schloßplatz, Stuttgart-Mitte – Kunstmuseum Stuttgart“.

1. Preisgruppe Johann Überlackner, Berlin
1. Preisgruppe Heinle Wischer und Partner, Berlin/Stuttgart
1. Preisgruppe/Realisierung Hascher + Jehle, Berlin


Im Rahmen branchenüblicher Beurteilung würde man den drei Finalisten eine gewisse Diversität nicht absprechen. Jeder Entwurf ein originärer Blick auf die Welt – im konkreten Fall auf die Neuordnung einer Schlüsselstelle in der Stuttgarter Innenstadt – Platzräume, Kultur, Kommerz. Nur: Was konstituiert jeweils diesen Blick?
Der Verfasser dieser Zeilen war sich (damals ganz ernsthaft) sicher, mit seiner Sicht auf das Problem eine Art „objektiv“ richtiges Bild erzeugt zu haben. Zuerst Formulierung öffentlicher Räume aus den Randbedingungen des Orts, Begegnung und Bewegung in die dritte Dimension, dann Verorten von Kunst und Kommerz in diesem Gefüge – eine Hülle, leicht und transparent, als „logische“ Ableitung all dessen; darin auch, außer Programm, halböffentlicher Raum mit Grünzeug, immer ein bisserl die Ford Foundation, New York, im Hinterkopf.
Jetzt ist es halt so eine Sache mit der Objektivität. Schon diese stellt sich, von verschiedenen Seiten betrachtet, recht unterschiedlich dar.
Jene des Projekts war wohl etwas „diskurslastig“. Guten Gewissens intendiert, einen „Beitrag“ einzubringen – böse Zungen würden vielleicht sagen, im Bereich der Aufmerksamkeitsökonomie verortet. Weniger im Fokus war etwa, was in Artikeln wie diesem von „Praktikern“ gern gefordert wird, nämlich die spätere Ausführung eines solchen Beitrags als womöglich oberstes Paradigma in den Wettbewerb zu tragen. Quite a different angle. Natürlich wäre eine Realisierung möglich gewesen, wenn auch die Details knifflig und der Weg dorthin steinig gewesen wäre. Sicher zu stemmen für Stuttgart oder BW, aber der Blick der „Schwäbischen Hausfrau“ auf die Schlussrechnung hättewomöglich etwas grimmig ausfallen können. Preisgericht und Politik haben vernünftig entschieden.
Der Aspekt „Diskurs“, in der gewählten Diktion hier der Blick gesellschaftlicher Systeme auf die Welt und auf sich selbst, wird von der Architekturszene, gar Wettbewerbsszene, noch recht gern verwendet. Diese Welt wird aber zusehends enger. Die „Vernunft“, oder besser: eine bestimmte Art von „Vernunft“, die vieles und immer mehr exkludiert, synchronisiert die Betrachtungswinkel. Das Ganze endet unweigerlich in der Logik von „Verfahren zur Vergabe von Planungsdienstleistungsaufträgen im Ober-, Unter- oder sonstigen Schwellenbereich“.
Scheint so, als uniformierten die Randbedingungen systemisch die Positionen, die eingebracht werden. Die gleichwohl persistente Binnen-Illusion der Szene, von der jeweiligen Individualität des Blicks, die man sich ganz sicher noch behalten habe, rundet erst recht ein einheitliches Bild ab. Am Ende hatte sie dann doch recht, die Amerikanerin.
Auch ihre Einschätzung der Kleidung hat gepasst. Bei mir war nur die Hose hellbeige, fast weiß, ansonsten...

Johann Überlackner, November 2024

Johann Überlackner © Christoph Reinhold

Johann Überlackner

1961 *Mödling/Niederösterreich
1980 – 1987 Architekturstudium TU Wien
1987 – 1991 Praxistätigkeit in verschiedenen Architekturbüros
1991 – 1996 Lehrtätigkeit TU Wien
1996 – 2005 Freischaffender Architekt AK Berlin
ab 2006 Freischaffender Entwerfer/Wien