Eine zeitreise mit Alexandra Apfelbaum
Eine runde Sache
Der Justizcampus von Madrid umfasst alle Justizbehörden der Stadt, entworfen von international renommierten Architekten, auf einem Gelände. Der universitätsgleiche Campus mit 18 verschiedenen Gebäuden entsteht seit 2008 im Stadtentwicklungsgebiet nordöstlich der Stadt, bekannt als „Parque de Valdebebas“, in direkter Nachbarschaft zum Messegelände und zum Flughafen Madrid-Barajas. Der Gesamtplan der Madrider Architekten Frechilla & López-Peláez Arquitectos von 2005 bildete die Grundlage für den zweistufigen, offenen Architektenwettbewerb zum Zivilgerichtsgebäude. Ähnlich einem Uhrwerk ordnen sich alle Justizgebäude mit kreisförmigem Grundriss auf dem 20 Hektar großen, langgestreckten Gelände an. Sie sollen sowohl als autonome Einzelgebäude funktionieren, als auch durch ihre räumliche Nähe ineinandergreifen und interagieren können.
Der erstplatzierte Entwurf von Zaha Hadid Architects London für das neue Zivilgerichtsgebäude nimmt den umgebenden öffentlichen Raum in seinen Kern auf und integriert ihn als öffentlichen Innenhof. Damit wandelt das Gerichtsgebäude von einem bloßen Bestandteil des Gesamtplans zu dessen Dreh- und Angelpunkt und dient als strukturgebende und organisierende Referenz für den gesamten städtebaulichen Komplex. Die Formensprache und der architektonische Ausdruck des Entwurfs zielen darauf ab, die eher statische Konfiguration der weiteren Gebäude zu durchbrechen: Durch horizontale Verschiebungen in der Gebäudeform wird der Eindruck von Elastizität und Dynamik erzeugt. Der Besucher soll auf diese Weise ins Innere des Gebäudes gezogen werden, das über der Bodenebene zu schweben scheint. Das siebengeschossige, spiralförmige Atrium dient als unmittelbarer Bezugs- und Orientierungspunkt für die Besucher und erstreckt sich bis in das Untergeschoss, wodurch natürliches Licht in die Gerichtssäle auf dieser Ebene gelangt. Von den rund 75.000 Quadratmetern Geschossfläche liegt ein gutes Drittel unter der Erde. Auf zehn Geschossen sind 118 Gerichtssäle untergebracht. Die Hülle des Zivilgerichtshofs besteht aus einer doppelt hinterlüfteten Fassade. Ihre Außenschicht besteht aus Metallplatten, die auf Umwelt- und Programmbedingungen mit Verschiebungen reagieren. Diese Paneele wechseln von offen zu geschlossen und von flach zu verlängert. Es ist auch vorgesehen, dass die Metallpaneele auf dem Dach Fotovoltaikzellen enthalten.
Justizgebäude zählen in vielen Hauptstädten der Welt zu den größten, oft auch überdimensionierten, Gebäuden. Ihre architektonische Gestalt – meist eine außergewöhnliche, spektakuläre Form – symbolisiert nicht unbedingt eine demokratische Gesellschaft. Nun könnte man meinen, runde Architektur bietet sich gerade für dieses Projekt an, wo nicht die Raum-Effizienz im Vordergrund steht, sondern der Repräsentationscharakter betont werden soll. Doch steht ein Kreis für Einheit, für das Absolute und auch für eine ideale Ordnung: Eine der Eigenschaften des Kreises ist es, dass jeder Punkt gleich weit vom Mittelpunkt entfernt ist, es gibt kein Voreinander und kein Hintereinander – im Sinne der Gerechtigkeit also eine runde Sache.
Alexandra Apfelbaum | Februar 2022
Alexandra Apfelbaum
Dr. Alexandra Apfelbaum ist seit 2009 als freiberufliche Kunst- und Architekturhistorikerin tätig. Seit 2018 hat sie die Vertretungsprofessur für Geschichte und Theorie von Architektur und Stadt an der Fachhochschule Dortmund inne.
Ihr Schwerpunkt sind Forschungen zu den Schnittstellen von Architektur und Kunst des 20. Jhs. mit Fokus auf NRW und der Nachkriegszeit. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Initiative Ruhrmoderne.
Jüngere Publikationen:
• JPK NRW. Der Architekt Josef Paul Kleihues in Nordrhein-Westfalen, hg. von Alexandra Apfelbaum, Silke Haps und Wolfgang Sonne, Dortmund 2019
• Von Stahlschachteln und Bausystemen. Zum Umgang mit Stahlbauten der Nachkriegszeit, hg. von Alexandra Apfelbaum und Silke Haps, Dortmund 2019.