Volker Giezek und ich, Martin Boden-Peroche, gründeten unser Büro 1998 in einer Zeit abflauender Baukonjunktur, ohne potenzielle Bauherren im Bekanntenkreis, ohne Aufträge in Sicht. Wir starteten unsere Selbständigkeit mit zeitweiligen Tätigkeiten als freie Mitarbeiter und mit Kleinstprojekten für Freunde, wie ein Ladenausbau oder die Sanierung von Toiletten in einem Programmkino. Realisierungswettbewerbe sahen wir als einzig mögliches Mittel zur Akquise von Planungsaufträgen und Umsetzung von Entwurfsideen. Die Zulassungskriterien zur Teilnahme waren damals für junge Büros ohne Referenzen noch vergleichsweise niederschwellig und so bearbeiteten wir in den folgenden Jahren unter Ausnutzung aller möglichen Spätabend- und Nachtzeiten etliche Wettbewerbsverfahren.
Der Wettbewerb HafenCity Universität Hamburg (wa-2008802) war dabei derjenige, der Türen öffnete. Nach ersten Erfolgen und errungenen Aufträgen im Raum Dresden und Sachsen bewarben wir uns 2006 für diesen international ausgelobten zweistufigen Wettbewerb. Im Feld der knapp 100 ausgewählten Teilnehmer
fanden wir uns neben Sanaa, Eisenman, MVRDV und vielen anderen der „Großen“. Nach Entwurf und Abgabe in der 1. Stufe war für uns gedanklich die Sache bereits abgehakt. Umso überraschter waren wir, als wir die Nachricht zur Auswahl für die 2. Stufe mit verbleibenden zehn Teilnehmern erhielten. Hierzu wurden nach Aufhebung der Anonymität in einem Kolloquiumstermin mit jedem Teilnehmer jeweilige Optimierungserfordernisse der Arbeit diskutiert; u.a. musste der vorher nicht bekannte Tunnelverlauf der geplanten Neubau-U-Bahnlinie 4 berücksichtigt werden. Nach dieser aufregenden Beratung mit zahlreichen sehr wichtigen Hamburger Persönlichkeiten haben wir gedacht: Niemals werden wir, junge Architekten aus dem fernen Dresden, diesen wichtigen Wettbewerb gewinnen können!

Wettbewerbsperspektive


Die Bedeutung dieses Wettbewerbs war zugleich dessen große Gefahr. Die Aufgabenstellung war angefüllt von angestrebten Superlativen: ein herausragender städtebaulicher Standort; eine Universität neuen Typs; eine angestrebte Öffentlichkeit 7/24; ein Raumprogramm, dessen Nutzungsmix schwer lösbare funktionale Konflikte bereithielt und extrem anspruchsvoll formulierte Ziele bzgl. der energetischen Nachhaltigkeit, welche im Rahmen der 2. Wettbewerbsstufe zu bearbeiten und deren Erfüllung nachzuweisen waren. Eben über Letzteres kam das Verfahren später ins Stolpern.
Im Vorfeld der abschließenden Jurysitzung wurde ein Experte mit einer internen Vorprüfung aller Nachhaltigkeitskriterien und deren Erfüllung in den zehn Wettbewerbsarbeiten beauftragt. Seine Ausarbeitung, welche allen Arbeiten Mankos und ein „Ungenügend“ bescheinigte, gelangte vor der Jury-Sitzung auf unergründliche Weise an die Presse und damit an die Öffentlichkeit. Mit diesem Experten-Urteil sah sich das Preisgericht offensichtlich unter erheb- lichen Druck gesetzt und vergab keinen ersten Preis. Die dennoch klare Rangfolge der Entscheidung begann mit dem zweiten Preis – und ging an unsere Arbeit! Der Anruf ereilte uns auf einer
gemeinsamen Autobahnrückfahrt aus dem Skiurlaub; verbunden mit der Ansage, bitte am Montagvormittag zur Pressekonferenz in Hamburg zu sein! Der zur schnellen Bahn-Anreise gebuchte Eurocity Prag-Hamburg hatte am Montag früh in Dresden bereits reichlich Verspätung; also half nur ein Sprung ins Auto und eine großzügige Auslegung diverser Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 500 Kilometern Autobahnfahrt. Unser Erstaunen fand seine Fortsetzung, dass der Bauherr, die Behörde für Wissenschaft und Forschung, keinerlei Zweifel Raum gab, eben unsere Arbeit und damit uns junge Dresdner Architekten mit der Planung zu beauftragen.
Doch mehrfach haben wir in der Folge unseren Entwurf der Bürgerschaft vorstellen müssen. Einzelne Maßnahmen im Bereich Technik wurden hin und her geprüft und letztlich gestrichen. Erst dann wurden die Haushaltsmittel für das Neubauprojekt freigegeben und der Beginn des Vergabeprozesses beschlossen. Womit sich alsbald zeigte, dass sich die inzwischen gealterte Kostenberechnung in den einzelnen Submissionen nicht bestätigte. Was dann folgte, ist der HafenCity Universität für immer anzusehen: Kürzungen, Einsparungen, Umplanungen und Qualitätsverluste. Aus der Vorhangfassade mit Recycling-Glas wurde bspw. ein WDVS oder aus den mit heller Photovoltaik belegten Balkonbrüstungen Streckmetall; zugleich hatten wir mit allen leider üblichen Problemen der Haustechnik zu tun. Gleichwohl konnten wir 2014 den Neubau der HafenCity Universität fertigstellen und übergeben. Bemerkenswert finden wir, dass trotz berechtigter differenzierter Ansichten zur Architektur, Kritik an den Einsparungen am Bau oder eingeschränkt umgesetzten Nutzerbelangen uns von der Kollegschaft der Universität keine grundlegende Skepsis entgegengebracht wurde, sondern wir als junge Entwurfsverfasser, Architekten und Planer geachtet wurden.

Martin Boden-Peroche und Volker Giezek  im April 2023

Geschäftsführung CODE UNIQUE Architekten
Abb. links: Volker Giezek, mitte: Peter Jahrisch, rechts: Martin Boden-Peroche

Martin Boden-Peroche

· geboren 1968 in Dresden
· Studium TU Dresden und Ecole d‘Architecture Paris La Défense
· seit 1994 als Architekt tätig
· 1998 Gründung Büro CODE UNIQUE Architekten
· Gesellschafter
· seit 2006 Mitglied BDA

Volker Giezek

· geboren 1966 in Halle / Saale
· Studium TU Dresden und Ecole d‘Architecture Paris La Défense
· seit 1994 als Architekt tätig
· 1998 Gründung Büro CODE UNIQUE Architekten
· Gesellschafter
· seit 2006 Mitglied BDA
· 2017 – 2021 Mitglied im Gestaltungsforum der Stadt Leipzig