Eine zeitreise mit Prof. Bernd Niebuhr, Oktober 2024
Der Internationale Städtebauliche Ideenwettbewerb Spreeinsel Berlin 1993/94 war einer der großen städtebaulichen Wettbewerbe Anfang der 1990er-Jahre in Berlin. Neben Ideen zur städtebaulichen Zukunft der historischen Mitte Berlins wurden auch Konzepte für die Integration des Außenministeriums und des Innenministeriums in den historischen Kontext der Stadt gesucht.
An vielen Orten der Spreeinsel waren Fragen nach einer Reurbanisierung im Dialog mit der Identität des Ortes, des historischen Stadtgrundrisses und der stadträumlichen Ebene der Moderne zu klären. Zwangsläufig entstand ein Abwägungsprozess zwischen Erhalt, Weiterbau, Integration und Rückbau von architektonischen Spuren der jeweiligen Zeitschichten. Als theoretische Werkzeuge dienten mir die Theorie, die Colin Rowe und Fred Koetter in Collage City zur Verfügung gestellt hatten, und auch die Begriffe „Permanenz“ und „Gedächtnis der Stadt“, die Aldo Rossi in seinem Buch Die Architektur der Stadt erläutert hat.
Im Vordergrund standen für mich in diesem Prozess die öffentlichen Stadträume, Plätze, Straßen als konstituierende Elemente der Stadt.
Die Methode der Collage berücksichtigt sowohl den geschichtlichen Kontext als auch die Gegenwart und schafft damit eine „Zweideutigkeit“ und eine komplexere Stadtgestalt. Jede städtebaulich gesetzte Linie des Konzeptes folgt dieser Logik, die Linien sind historisch reflektiert und trotzdem offen für die Zukunft und die Ansprüche der Gegenwart. Der Grundriss der Stadt ist aus dem Raum entworfen und nicht als Addition von Objekten gedacht worden. Sichtbar wird diese Arbeitsweise vor allem im Bereich des Außenministeriums. Das gesamte Ministerium orientiert und erschließt sich durch eine ins Innere gerichtete Ordnungsstruktur. Sie bezieht sich idealtypisch auf das Ministerium, nicht auf die Stadt. Die Stadt überlagert diese innere Ordnung und ist mit ihr vernetzt. Auf diese Weise konkurrieren zwei Raumsysteme miteinander und bereichern den öffentlichen Raum.
Zentraler Teilbereich des Wettbewerbs war das ehemalige Schlossareal, welches durch eine Bandstadt seiner Struktur beraubt wurde. Die „Erinnerbarkeit“ der Stadt, ihrer Räume und Gestalt, wie sie Kevin Lynch in Das Bild der Stadt thematisiert hat, war für mich eine Bedingung und somit auch Grund für eine Intervention an diesem Ort. Der Entwurf des Stadthauses zeichnet den Schlossgrundriss nicht nach, er unterteilt und begrenzt jedoch die es umgebenden historischen Räume und bringt den Maßstab dieser Räume zurück. Das Stadthaus bezieht seine Geometrie auf das Alte Museum und den Dom und schwenkt darum seine Nordfront in Richtung des Lustgartens. Damit folgt das Stadthaus der Logik Schinkels, der sein Altes Museum nicht parallel zum Schloss errichtet hat, sondern auch rechtwinklig zum kleineren Vorgängerdom von Jan Bouman und K. F. Schinkel. Diese Verdrehung des Stadthauses zum Schlossgrundriss verdeutlicht exemplarisch die Differenz der Geschichte zur Gegenwart im gesamten Projekt. Zur Spree auf derOstseite setzt sich das Stadthaus in die Bauflucht des Domes und des ehemaligen Marstalls. Das Gebäude wird damit Teil der Bebauung, die die Spree direkt rahmt. Im Inneren des Stadthauses zeigt der Stadthof als Komplementär eine völlig unabhängige Geometrie in der Gestalt des elliptischen Innenhofes. Mein Begreifen dieses Hofes ist beeinflusst von den Gedanken Louis Kahns aus seinem Buch Die Architektur und die Stille in Bezug zu Sinn, Bedeutung, Zeit der Architektur und auch seine Gedanken zu dem Thema „Monumentality“. Dieser Hof sollte der öffentlichste Raum der Stadt werden, der sich über Logengänge in die Vertikale zieht und den Himmel berührt. Vor allem sollte der Hof frei sein von jeder Funktionalität, ein Raum, indem die Stadt Berlin endet und beginnt.
Prof. Bernd Niebuhr, Oktober 2024
Prof. Bernd Niebuhr
1987 Diplom an der Hochschule der Künste Berlin (UDK) bei Prof. Ingeborg Kuhler, Mitarbeit in verschiedenen Büros in Berlin, u.a. Georg Heinrichs
1989 - 1991 James Stirling & Michael Wilford in Association with Walter Nägeli London/Berlin
Projekt Werksanlagen Pfieffewiesen B. Braun Melsungen (wa-2000900)
Seit 1991 Architekt in Berlin
1994 - 1999 Partnerschaft mit Bernd Multhaupt,
Bauherrenpreis des Landes Brandenburg 1996
Seit 2001 Professor an der Hochschule Bielefeld HSBI, Städtebau und Entwerfen