Politisches Kräftemessen in Konzertsaalfragen

„Eine Lösung erzwingen – Finanzminister Faltlhauser macht sich an die Umgestaltung des Marstalls“ betitelte die Süddeutsche Zeitung ein Interview im Februar 2007 mit dem bayerischen Minister. Das Marstallgebäude hinter der Münchener Residenz wurde von Leo von Klenze geplant und gebaut und ist ein Denkmal hohen Ranges. Die Nutzung des Gebäudes als Werkstatt und Kulissenlager und des vorgelagerten Platzraumes als Abstellfläche ruft tatsächlich nach Verbesserung.

Faltlhauser meinte nur mithilfe eines Ideenwettbewerbes zu geeigneten Vorschlägen zu kommen. Während des Fachkolloquiums zum anlaufenden Wettbewerb wurde unterstrichen: „München braucht einen neuen Konzertsaal“ und der Minister betonte: „Das ist eine der spannendsten und schönsten Aufgaben, die in den vergangenen Jahren in Europa zu vergeben waren“. (SZ 03.07.07)

Die Folgen der Ausschreibung ohne vorgeschaltete, intensive Bedarfsklärung lassen sich spätestens im Erläuterungsbericht der mit dem ersten Preis bedachten Wettbewerbsteilnehmer Schultes Frank Architekten ablesen: „Ein einziger Blick genügt, auf das Raumprogramm mit 1.800 Sitzen und auf die nutzbare Breite des Marstalls um zu wissen, dass das Kamel eher durchs Nadelöhr …… Wohin also mit der Halle? Nicht vor die Westfront, die Hauptfront, der Raum da ist ja sorgfältig vorbereitet worden. Also auf den schmalen Streifen im Osten und zusehen, das ganze große Programm da achtbar und ohne Qualitätseinbußen hineinzuorganisieren. Die Pläne zeigen, dass das geht, das Modell zeigt, dass es ohne Verluste für die wesentlichen Stadträume zu machen ist.“

Das meiner Meinung nach niederschmetternde Ergebnis des Wettbewerbes war nicht anders zu erwarten. Bei den Lösungsvorschlägen zu einem Konzertsaal gab es neben dem genannten ersten Preis lediglich vier Ankäufe. Dorothea Parker analysierte den Sachverhalt in der Bauwelt (44/2007) und konstatierte zu Recht, dass man mit dem Wettbewerb eine weitere Chance verpasst hätte, den Platz zu gestalten und zu beleben (Anmerkung der Redaktion: siehe auch Wettbewerb „Bebauung Marstallplatz Süd und Freiflächengestaltung, München” wa-id: 2003566). Die Denkmalpflege konnte sich mit der Anbaulösung nicht anfreunden.

Modellfoto Prof. Axel Schultes · Charlotte Frank, Berlin


Im Dezember 2008 meldete sich der Stardirigent und Chef des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks Mariss Jansons unter der Überschrift „Orchester ohne Heimat“ (SZ 23.12.08) ungeduldig zu Wort: Am Marstall gäbe es eine großartige Chance, den Saal zu realisieren. München drohe andernfalls im Wettbewerb der Kulturstädte zurückzufallen. Joachim Kaiser sprang ihm zur Seite: „Wer die heißen Wünsche unserer Dirigenten nach einem akzeptablen, großen Konzertsaal nicht ernst nimmt, liebt die Musik zu wenig“. (SZ 03.01.09)

Im Jahre 2010 brachte Kunstminister Wolfgang Heubisch das Projekt schließlich mithilfe eines Gutachtens des Starakustikers Yasuhisa Toyota zu Fall. Die Aufklärung in der FAZ im Jahre 2016 über dessen „vorsätzlich“ verkürzte Wiedergabe kam für das Marstallprojekt zu spät (FAZ 26.01.16). Fieberhaft suchte man unterdessen nach einem geeigneten neuen Standort und lobte 2016 einen weiteren Wettbewerb aus: Konzerthaus München (wa-id: 2014322). Das politische Tauziehen zwischen Stadt – mit Gasteig, Kulturzentrum und Heimat der Münchner Philharmoniker – und Freistaat – Promoter des Münchner Rundfunkorchesters – mit dem Wunsch nach einem neuen Saal mit überragender Akustik ging unvermindert weiter und ist noch nicht zu Ende. Delikat am aktuellen Stand der Dinge ist: Die Eröffnung der „Isarphilharmonie“ ( siehe Seite 57– 60), geplant von gmp als Interimslösung für die Zeit der umfangreichen Gasteigsanierung, zeigt frappante bauliche Ähnlichkeiten auf. Neben einem Baudenkmal mit Foyerfunktion steht ein Neubau als „Schuhkarton“, getrennt durch eine Erschließungszone mit „Himmelsleitern“. Für die gute Akustik des „Schuhkartons“ der Isarphilharmonie ist Yasuhisa Toyota verantwortlich.

Karl J. Habermann, November 2021

Karl J. Habermann | © Miguel Pecchia

Karl J. Habermann

Studierte Architektur in München, nahm nach seiner Promotion Lehraufträge an den Fachhochschulen in Nürnberg und München wahr.
Nach intensiver beruflicher Praxis verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift Detail.
Arbeit als freier Architekt und Buchautor, u.a. Stahlbau Atlas mit Helmut C. Schulitz und Werner Sobek, Treppen – Entwurf und Konstruktion, Bauen mit Membranen, Energieeffiziente Architekur mit Roberto Gonzalo.
Lebt in München.