Als der europäische Gedanke noch nicht vorsah, alle Architekturwettbewerbe europaweit zu öffnen, gab es in Deutschland ein pragmatisches System der Zugangsbeschränkung zu Wettbewerben. Lokale Konkurrenzen waren Teilnehmenden aus dem Regierungsbezirk des Vorhabens vorbehalten, überregional bedeutsame Aufgaben wurden für die im betreffenden Bundesland Ansässigen zugänglich gemacht, manchmal waren Wettbewerbe für Interessierte aus ganz Deutschland offen. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 wurden die wichtigen Wettbewerbe in den fünf neuen Bundesländern in der Regel bundeslandweit ausgeschrieben. Deshalb unterhielten viele Büros Dependancen im Osten, oftmals nur als „Briefkastenfirmen“. Auch wir gebürtige Ruhrpottler hatten Ansgar vorsorglich in die Architektenkammer Sachsen eintragen lassen, unser Firmensitz war der Kühlraum einer Metzgerei in der Leipziger Nikolaistraße.
Der Mitteldeutsche Rundfunk wurde 1991 als Landesrundfunkanstalt von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen gegründet. In den Anfangsjahren musste viel gebaut werden und für die großen Aufgaben wählte man den Weg des Architekturwettbewerbs. Den Wettbewerben für das Landesfunkhaus in Magdeburg 1994 (wa-2000841) und der MDR-Zentrale in Leipzig 1995 (wa-2000843)  folgte im Jahr 1996 die Konkurrenz für das Landesfunkhaus Thüringen. Der Bauplatz war spektakulär: Das Funkhaus sollte den südwestlichen Abschluss des Parks der Erfurter Gartenbauausstellung bilden, der von 1958 bis 1961 nach Plänen von Reinhold Lingner angelegt wurde. Wie viele bedeutende Gemeinschaftsorte der ehemaligen DDR stand der Park unter Entwicklungszwang und sollte durch die Ansiedlung des Funkhauses eine Aufwertung erfahren. Als Besonderheit der Aufgabe kam hinzu, dass der MDR in diesem Funkhaus die enge Verbindung der Redaktionen von Hörfunk und Fernsehen verfolgte.

1. Preis Realisierungsteil/2. Preis Ideenteil Schulz, Schulz, Sebralla, Leipzig | Modellfoto: MDR/Hopf


Der Wettbewerb war offen für Teilnehmende aus den drei Ländern des MDR, also auch für uns, die wir unseren Leipziger Kühlraum mittlerweile durch ordentliche Räume ersetzt hatten. Damals ebbte der Bauboom in den neuen Ländern gerade ab. Wir schlugen daher gemeinsam mit unserem Freund Jürgen Baer vor, anstelle vieler Gebäude, die niemand brauchte, eine gigantische Aufforstung vorzunehmen, die das Funkhaus als Endpunkt des Parks rahmen sollte. Das Gebäude war fünfschiffig konzipiert: außen Büros, in der Mitte die Studios, dazwischen jeweils die beiden Redaktionen von Hörfunk und Fernsehen. Auch die anderen Teilnehmenden entwickelten Lösungen von Solitären im Park, die durch heute antiquiert wirkende Accessoires wie Sendemasten und Satellitenschüsseln als Funkhäuser kenntlich gemacht wurden. Eine interessante Effizienzstrategie verfolgten die Verfasser des 4. Preises, die äußerst trocken ihren 2. Preis für das Magdeburger Funkhaus ein weiteres Mal einreichten.
Für uns nahm die Sache kein gutes Ende. Zwar brachte es Jürgens Skizze der Grüngestaltung auf das Titelblatt der wa-Ausgabe 5/1996, aber der Empfehlung des Preisgerichts zur Realisierung unseres Entwurfes mit nur 6:5 Stimmen folgten zwei nicht anonyme Überarbeitungen des Wettbewerbsprojekts. Zunächst wollte der MDR auch noch den Kinderkanal im Gebäude unterbringen, was es größer machte. Dann forderte man die deutliche Sichtbarkeit des Hauses an der Straße. Unsere tragende Idee – das von Wald umsäumte Funkhaus – war damit obsolet. Heute sind wir froh, dass der MDR nicht unseren verwässerten Entwurf realisiert hat, sondern den 5. Preis. Der wurde aus einem Erfurter „Briefkasten“ eingereicht, entstand aber im hessischen Kassel, aus dem der Funkhausdirektor vom HR zum MDR gewechselt war.

Im Mai 2024, Ansgar und Benedikt Schulz


Schulz und Schulz                                                                                        
Ansgar und Benedikt Schulz wurden für ihre Arbeiten vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem europäischen Balthasar-Neumann-Preis und dem International Prize for Sacred Architecture. Die von ihnen entworfene Propsteikirche St. Trinitatis (wa-2011044) wurde auf dem World Architecture Festival WAF 2016 zum „Religious Building of the Year“ gekürt. 2018 erhielten sie den Großen Preis für Baukultur.
Sie sind regelmäßig Preisrichter bei Architekturwettbewerben und -preisen, Mitglieder diverser Gestaltungsbeiräte, Gastkritiker und Gastvortragende an Hochschulen und Universitäten, Autoren für Fachzeitschriften und von Fachbüchern, z.B. „Perfect Scale“, „ Atlas Naturstein“ und „De aedibus international 18“.


Ansgar und Benedikt Schulz | © Jasmin Schuller



Ansgar Schulz | * 1966 in Witten/Ruhr
• 1985 – 1992 Architekturstudium an der RWTH Aachen und der ESTA de Madrid
• Seit 1990 Mitglied bei Schalke 04
• 1992 Gründung des Büros Schulz und Schulz mit seinem Bruder in Leipzig
• 2002 Berufung in den BDA, 2015 in den DWB, in den Konvent der Bundesstiftung Baukultur
2010, 2016, 2018 und 2022, seit 2016 Mitglied im wissenschaftlichen  Beirat des Dt. Institut für Stadtbaukunst
• Nach Professuren an der TU Karlsruhe und der TU Dortmund seit 2018 Professor für Entwerfen und
Konstruieren an der TU Dresden, 2022 Gastprofessor an der FADU UBA Buenos Aires


Benedikt Schulz | *1968 in Witten/Ruhr
• 1988 – 1994 Architekturstudium an der RWTH Aachen und der UC de Asunción/Paraguay
• Seit 1990 Mitglied bei Schalke 04
• 1992 Gründung des Büros Schulz und Schulz mit seinem Bruder in Leipzig
• 2002 Berufung in den BDA, 2010 an die Sächsische Akademie der Künste, 2015 in den DWB,
seit 2016 Mitglied im wiss. Beirat des Dt. Institut für Stadtbaukunst
• von 2010 – 2018 Professor an der TU Dortmund, seit 2018 Professor für Entwerfen und Konstruieren
an der TU Dresden, 2022 Gastprofessor an der FADU UBA Buenos Aires