Stadt, Architektur und Musik. Bremens schlummernder Libeskind. | Eine zeitreise mit Dr. Alexandra Apfelbaum
„Bremen und Musik“ – diese Verbindung hat die Hansestadt spätestens seit den Bremer Stadtmusikanten der Gebrüder Grimm aus dem Jahr 1819 kontinuierlich geprägt. Die intensive Beziehung der Stadt zur Musik geht jedoch auf eine mittelalterliche städtische Tradition zurück, die bis heute anhält und immer noch städtisch subventionierte Orchester hervorbringt.
Die Verbindung von Architektur und Musik ist dagegen eine globale Erscheinung und unter anderem durch den amerikanischen Architekten Daniel Libeskind geprägt. Für die Musikstadt Bremen wäre es also nur folgerichtig gewesen, hätte sie eine Philharmonie von Libeskind erhalten. Umso bedauernswerter ist es, dass der Dreiklang „Stadt – Architektur – Musik“ trotz des Wettbewerbs für das Musicon Utopie geblieben ist.
In der Hoffnung, der Bau eines neuen Konzerthauses würde das städtische Selbstverständnis als Musikmetropole verstärken, wurde 1995 durch den dazu gegründeten Förderkreis Neue Philharmonie Bremen e.V. ein internationaler Wettbewerb für das Projekt Musicon Bremen initiiert. 120 eingegangene Entwürfe bezeugen die hohe Resonanz zu diesem Vorhaben. Zwölf Büros wurden schließlich eingeladen, ihre Entwürfe abzugeben, aus denen Daniel Libeskind als Sieger hervorging. Aus Metall, Holz und Glas, mit offenem Grundriss und stürzenden Linien entwarf Libeskind die Neuinterpretation eines konventionellen Konzerthauses. Das schwebend wirkende Auditorium zeichnet sich durch seine Wandelbarkeit von der klassischen Form mit 2.500 Plätzen zum offenen Raum mit 3.200 Plätzen sowie hoher akustischer Qualität aus.
Das dafür ausgewählte Grundstück bot eine zentrale städtische Lage, die sowohl Bauwerke als auch offenes Gelände umfasste.
In Bremen sollte die „Zerstörung und Abspaltung öffentlicher Räume, die sich bei Großbauten allenthalben einstellt, unbedingt vermieden werden“, so Libeskind in seinem Erläuterungsbericht 1996. Daher wird das Erdgeschoss als Verbindungszone weitgehend zur Parkanlage geöffnet. Der diagonal verlaufende, grüne Verbindungstrakt greift weit in das umgebende Gelände hinein und gleichzeitig setzt sich die umgebende Parklandschaft im Innern des Traktes fort. Zudem wird der Ort selbst durch neue Begrünung, die Freilegung von Bodenflächen, die Anlage von Spazier- und Radwegen sowie Pavillons, Spielplatz und Brunnenanlagen aus seiner Passivität herausgehoben.
Doch noch grundlegender ist die durch den Bau erzeugte Verknüpfung von vier Bereichen: dem Bürgerpark im Osten, dem Hauptbahnhof im Süden, der Bürgerweide im Westen und der Stadthalle mit dem Parkgelände im Norden. Libeskinds Entwurf bindet nicht nur die funktional und atmosphärisch unterschiedlichen Stadt-bereiche an einem Punkt zusammen, er erzeugt gleichzeitig ein Netz vollkommen neuer städtischer Bezüge.
Jedoch stellt Libeskind bei diesem Entwurf vor allem akustische Aspekte in den Vordergrund. Dabei ist nicht die herausragende, bauphysikalische Akustik gemeint, sondern philosophisch-akustische Aspekte, die beispielsweise durch John Cage oder Erik Satie Ende der 1980er-Jahre in die Musik eingingen. Dazu zählten auch Geräusche der Stadt als soundscape im Sinne einer Klanglandschaft, wie sie auch Libeskind in seinem Erläuterungsbericht beschreibt:
„Wie Triller und musikalische Verzierungen nehmen die Parkanlagen den Rhythmus der Tram- und Eisenbahnen, Verkehr und Fußgänger in die Partitur städtischen Lebens auf.“
Mit seinem Entwurf gelang es ihm, einen musikalischen Schnittpunkt zwischen der Architektur und den städtebaulichen Gegebenheiten des Ortes zu schaffen. Dabei stellt seine signature architecture nicht eine ortlose Spektakelbaukunst dar, sondern zeigt sich als ortsbezogene, symbolhafte Architektur für die Musikstadt Bremen.
Die städtische Bauaufgabe eines Konzerthauses (jüngstes prominentes Beispiel München) ist immer an eine unverwechselbare und identitätsstiftende Großform geknüpft, wie auch die anderen Entwürfe des Musicon-Wettbewerbs belegen: Da ist die kristalline Glashülle von Behnisch & Behnisch, der transparente Kubus von Ortner + Ortner oder die konkave Muschel von Seraji-Bozorgzad. Von Beginn der Planung an als städtisches Aushängeschild gedacht, mit geplanter Eröffnung zur EXPO 2000
in Hannover, verschwanden die Pläne für das Musicon dennoch in der Schublade. Zwischenzeitlich 2004 für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2010 wieder hervorgeholt, schlummern sie bis heute dort – möglicherweise aufgrund mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten, sicher aber aufgrund fehlenden politischen Willens. Es bleibt zu hoffen, dass die Musikstadt Bremen den Entwurf doch nochmal hervorholt, um ihn dann – ganz im Sinne von John Cage und seinem Stück Organ2/ASLAP über 20 Jahre später „as slow as possible“ zur gebauten Realität werden zu lassen.
Dr. Alexandra Apfelbaum | freiberufliche Kunst- und Architekturhistorikerin
Dr. Alexandra Apfelbaum ist seit 2009 als freiberufliche Kunst- und Architekturhistorikerin tätig. Seit 2018 hat sie die Vertretungsprofessur für Geschichte und Theorie von Architektur und Stadt an der Fachhochschule Dortmund inne.
Ihr Schwerpunkt sind Forschungen zu den Schnittstellen von Architektur und Kunst des 20. Jhs. mit Fokus auf NRW und der Nachkriegszeit. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Initiative Ruhrmoderne.
Jüngere Publikationen:
JPK NRW. Der Architekt Josef Paul Kleihues in Nordrhein-Westfalen, hg. von Alexandra Apfelbaum, Silke Haps und Wolfgang Sonne, Dortmund 2019
Von Stahlschachteln und Bausystemen. Zum Umgang mit Stahlbauten der Nachkriegszeit, hg. von Alexandra Apfelbaum und Silke Haps, Dortmund 2019.
Eine zeitreise mit Dr. Alexandra Apfelbaum in wa 1/2021.