Eine zeitreise mit Richard Scoffier
Im Februar 1983, als François Mitterrand zum Präsidenten gewählt wurde, schrieb das Kulturministerium einen großen offenen Architekturwettbewerb für den Bau einer neuen Volksoper an der Stelle der Bastille aus, deren Erstürmung 1789 als Geburtstunde der Französischen Revolution interpretiert wird: demnach der emblematischste Ort der Französischen Republik.
Es ist mit einer gewissen Bitterkeit verbunden, wenn ein Architekt heute seinen Blick auf die Opéra Bastille richtet, so als würde er gleichsam ein verpasstes Rendezvous mit der Geschichte erleben. Dabei schienen sich doch damals zunächst alle guten Feen vor der Wiege dieses großen Projekts versammelt zu haben: der politische Wille des erst kürzlich zum Präsidenten der Republik gewählten François Mitterrand, der mythische Standort sowie das Versprechen, dass der Bau der 200-Jahr-Feier der Französischen Revolution angemessen sein würde. Entsprechend waren die besten Spezialisten wie Söldner angeworben worden, um von technischer Seite sicherzustellen, dass ein Saal mit 2.700 Plätzen tadellos funktionieren würde – und zwar bei mehr als 450 Aufführungen pro Jahr.
Die Jury schien über jeden Verdacht erhaben zu sein und glänzte mit führenden Persönlichkeiten aus der Welt der Musik und der Architektur, darunter: Pierre Boulez, Herman Hertzberger, Bernard Huet, Jean Nouvel, Oswald Mathias Ungers.
Doch Pustekuchen! Die 756 aus der ganzen Welt eingesandten Entwürfe sahen größtenteils wie riesige Betonberge aus, in denen es unmöglich war, auch nur die geringste formale Absicht oder einen städtebaulichen Willen zu erkennen.
Der Grund dafür waren die Programmplaner, die riesige Räume für Proben und die Aufbewahrung von Kulissen vorschrieben, kurz: eine gigantische Maschinerie, die die meisten Teilnehmer* innen gar nicht bespielen konnten.
Nur einige wenige Entwürfe von Studierenden, die von der technischen Kommission gnadenlos aussortiert wurden und die es gewagt hatten, sich große Freiheiten gegenüber den Funktionsbeschränkungen zu nehmen, stachen deutlich hervor. So schlug beispielsweise Olivier Baudry eine architektonische Variation von Picassos Bühnenvorhang für Erik Saties Ballett „Parade“ aus dem Jahr 1917 vor, und Badia Berger vergrub alle Nebenräume unterirdisch, um darüber die reinen Volumen der öffentlichen Säle zu errichten.
Doch leider war die Jury nicht nur weit davon entfernt, eine Versammlung von Weisen zu sein, sondern sie ließ einige ihrer Mitglieder gar als echte Lobbyisten agieren: Hier, um einen Kollegen zu pushen; dort, um einen lästigen Konkurrenten auszuschalten. Zum Beispiel: Pierre Boulez verteidigte aus obskuren Gründen bis zum Schluss den Entwurf des Hongkonger Architekten Rocco Yim Sen Kee; Jean Nouvel den naiven und brutalen Entwurf von Carlos Ott, den man übrigens als von Richard Meier entworfen glaubte, während andere sich vehement gegen den als deutlich erkennbar von Christian de Portzamparc verfassten Entwurf aussprachen um so zu verhindern, dass dieser durch einen Sieg der Architekt des neuen Präsidenten werden würde.
Aber kommen wir zurück zu den sechs Kandidaten der 1. Preisgruppe. Sie lassen sich in drei sehr unterschiedliche Kategorien einordnen. Die ersten – Carlos Ott, der Gewinner, und Rocco Yim Sen Kee – folgen dem in den Regeln vorgegebenen Organisationsprogramm und richten sich schulmäßig an der Avenue Daumesnil aus, um jeweils einen Solitär vorzuschlagen, der bewusst mit den bestehenden Bauten kollidieren würde.
Die zweiten, Munteanu und Viguier Jodry, die sich mehr um eine städtebauliche Anbindung bemühten und auf Kontinuität setzten, richteten ihre Gebäude streng an den Bestandsfassaden aus, um auf diese Weise eine einheitliche und monumentale Stadtfront gegenüber der Einmündung der Rue Saint-Antoine zu schaffen, die weiter hinten auf die historische Achse des Louvre und der Champs Élysées trifft.
Nicholas Hare und Christian de Portzamparc schließlich schufen eine Synthese zwischen der Ausrichtung auf Avenue und Kanal. Der Entwurf des Letzteren bleibt bis heute der bezauberndste. Auch François Mitterrand bedauerte viel später, am 14. April 1995, in einem Fernsehinterview, dass man nun leider nie die majestätische Verschiebung seiner vier gigantischen verschiebbaren Fassadenpaneele erleben werde.
Es könnte aber auch sein, dass die blinde Gewalt des Siegerprojekts, dessen Autor schnell wieder in die Anonymität zurückfiel, die Besonderheit dieses Platzes perfekt wiedergibt, der ein im Wesentlichen offener und unvorhersehbarer Raum bleibt, eine unfassbare Leere, die Aneignungen und Projektionen zulässt. Als ob die gegenwärtige, völlig misslungene Oper die einzige Möglichkeit ist, diesen Tag des Revolutionsaufruhrs, auch die damit verbundenen Grausamkeiten, für die Ewigkeit feiern zu können.
Richard Scoffier, Mai 2022
Richard Scoffier ist Architekt und unterrichtet an der französischen Elite-Universität École Nationale Supérieure d’Architecture in Paris-Val de Seine.
Er veröffentlicht regelmäßig Artikel in den französischen Zeitschriften D’A und Archiscopie.
Außerdem gibt er im Rahmen der von ihm gegründeten Université Populaire jedes Jahr Kurse im Pavillon de l’Arsenal, dem Pariser Zentrum für Architektur und Städtebau.