Das Wort Rhodarium existiert nicht wirklich, es ist ein Kunstwort. Wir lasen es zum ersten Mal, als wir zur Teilnahme am Wettbewerb eingeladen wurden und fanden das spontan interessant, weil geheimnisvoll, irgendwie anders und besonders. Und so war es dann auch:
Im weltbekannten Bremer Rhododendronpark (welche Stadt hat schon so was?) sollte ein Schauhaus für Rhododendren entstehen, eine Pflanze, von der es ca. 1000 Arten geben soll (wer weiß schon so was?). Für mich war Rhododendron bis dahin eine Behübschung gepflegter Villenvorgärten und kein Forschungs- und Anschauungsobjekt, das hauptsächlich im Himalaya gedeiht. Der Wettbewerb wurde prominent aufgemacht und internationale Architekturgrößen eingeladen. Es ging auch keineswegs nur um ein Schaugewächshaus sondern regelrecht um eine Eventmaschine mit musealem Anspruch. Unterschiedliche Landschaften und Klimaregionen sollten inhouse nachgebildet werden, und von hochmotivierten niederländischen Ausstellungsplanern wurde eine interaktive Ausstellungsinszenierung vorgegeben.


Die Wettbewerbsbeiträge waren zumeist ungewöhnlich, auch visionär und oft bildhaft (sich öffnende Blüte etc.).
© Wulf Architekten

Aspekte wie Nachhaltigkeit, Ökologie und technisch einfache Realisierbarkeit waren Nebensache. Man konnte der Fantasie damals freien Lauf lassen. 300.000 Besucher sollten jährlich kommen ... und an den Villengrundstücken der Nachbarschaft vorbeidonnern. Nachdem das Projekt nahezu fertig von uns durchgeplant war, wurde ihm dies zum Verhängnis. Die Blütentr.ume mussten begraben werden und ein paar Jahre später wurde von irgendjemandem irgendein kleines Pflanzenhäuschen gebaut. Der Planungsprozess für das richtige Rhodarium war aber bereichernd und ist auch nach 23 Jahren unvergessen. Gerne hätten wir öfter solche Projekte, auch wenn wir sie heute wohl anders entwerfen würden.

© Wulf Architekten

Die geometrisch anspruchsvollen Glashallen mit parabelförmigen Schnittfiguren und abenteuerlichen Verschneidungen mit dem zentralen Besucherzentrum mussten von Hand gezeichnet werden. Tropisches Innenklima auch im Bremer Winter erzeugte aufwendige Klimatisierungsanlagen, barrierefreie Besucherführungen in hochgebirgiger Geländenachbildung etc. waren echte Herausforderungen. Eine weit geschwungene Fußgängerbrücke über das Dach und einen Wasserkanal hinweg sollte den nördlichen mit dem südlichen Teil des Rhododendronparks verbinden. Alles luftig leicht und beschwingt, eine Unbekümmertheit ausstrahlend, die heute fast nicht mehr vorstellbar ist.
Eine vergleichbare Aufgabe haben wir seitdem nicht mehr bearbeitet. Heute kommt uns das Rhodarium vor wie eine Luftblase aus einer anderen Zeit. Die dekorativen Modelle haben in Plexiglasvitrinen jahrelang unser Bürointerieur bereichert. Erst kürzlich haben wir sie mit einem Quäntchen Wehmut ins Archiv verbannt.

Prof. Tobias Wulf | wulf architekten, Stuttgart

Prof. Tobias Wulf | © Benedikt Kraft

Prof. Tobias Wulf

* 1956, studierte 1975 – 81 Architektur an der Universität Stuttgart.
Es schlossen sich Tätigkeiten in Architekturbüros wie Auer und Weber sowie Gottfried Böhm an.
1987 gründete Tobias Wulf sein eigenes Büro auf der Basis von Wettbewerbserfolgen.
Inzwischen sind wulf architekten ein renommiertes, international tätiges Architekturbüro.
An 4 Standorten in Stuttgart, Berlin und Basel arbeiten ca. 130 Mitarbeiter*innen an hochrangiger Architektur für anspruchsvolle Projekte.
Seit 1991 ist Tobias Wulf als Professor an der HfT Stuttgart tätig und lehrt gegenwärtig Entwerfen im Masterstudiengang. Vorträge, Preisgerichte und Gestaltungsbeiräte (Freiburg, Regensburg) sind Ergänzungen zu seiner kreativen Tätigkeit im Büro.

Eine zeitreise mit Prof. Tobias Wulf in wa 6/2021.