Stadt am Stadtrand

Urbanität hat ein seltsam flüchtiges Wesen. Sie im großen Stil auf der grünen Wiese zu planen, ist wohl die größte städtebauliche Herausforderung. Das Experiment der 1960er- und 1970er-Jahre, städtisches Leben gemäß dem Leitbild „Urbanität durch Dichte“ in Großsiedlungen zu erzeugen, hat alle Hoffnungen enttäuscht. Angesichts einer steigenden Wohnungsnachfrage Anfang der 1990er-Jahre kamen die Kommunen um einen erneuten Anlauf zur Gestaltung urbaner Milieus in der Peripherie nicht herum.

Wie sehen wir mit dem Abstand von dreißig Jahren heute die Ergebnisse damaliger Wettbewerbe?

Die in Freiburg prämierte Arbeit der Architektengemeinschaft um Reinhard Böwer für den neuen Stadtteil Rieselfeld reiht großzügig geschnittene Baublöcke aneinander – im Zentrum mit höherer Dichte und am Rand in offene Strukturen aufgelöst. Die Rieselfeldallee bildet das urbane Rückgrat des Stadtteils. Vom zentral gelegenen Maria-von-Rudloff-Platz öffnet sich eine grüne Fuge Richtung Dietenbachaue.

Städtebaulicher und landschaftsplanerischer Ideenwettbewerb Rieselfeld in Freiburg (1992) | 1. Preis Architektengemeinschaft Böwer · Eith · Murken · Spieker, Freiburg – H. R. Güdemann, Lörrach – Manfred Morlock, Schallstadt – Bernd Meier, Freiburg

Der etwa zur gleichen Zeit entstandene Entwurf des Büros Frauenfeld für München-Riem überzeugte das Preisgericht mit einer räumlichen Gliederung, die ideal zwischen den Großbauten der Messe und den kompakten Wohn- und Mischgebieten vermittelt. Die Willy-Brandt-Allee nimmt als Linearpark die U-Bahn auf, der Grünkeil Richtung Riemer Park verbindet den Messesee über das Zentrum mit dem Landschaftspark im Süden.

Ideenwettbewerb künftige Nutzung Flughafengelände München-Riem (1991) | 1. Preis: Jürgen Frauenfeld, Frankfurt am Main – Baer + Müller, Dortmund

Östlicher Bereich der Messestadt Riem, München (1998)

Die Preisträger in Freiburg und München setzten auf klassische Bausteine der europäischen Stadt: Straße und Hof, Platz und Park. Das Straßenraster und die Plätze im Rieselfeld erwiesen sich später als attraktiv genug, um im Kernbereich auch kleinteiligen Handel und Dienstleitungen anzuziehen. Der neue Ortsrand stellt sich als durchlässige Membran von Zeilen und Punkthäusern dar.

In München hat das vom Preisträger geplante Gitternetz mit quadratischen Baublöcken und einer eher geschlossenen Kante zum Park den Wettbewerb nicht lang überdauert. Vor Umsetzung der Planung entschied sich die Stadt, von der Parklandschaft grüne Finger in die Wohngebiete hineinzuführen. Hinter den straßenbegleitenden Zeilenbauten öffnen sich heute kurze Gebäuderiegel und Winkelhäuser zum Grün, sodass südlich des verdichteten Zentrums heute der Siedlungscharakter dominiert.

Angesichts der fortbestehenden Wohnungsfrage bleibt die Gestaltung neuer Stadtteile auch in Zukunft ein Thema. Der in dieser Ausgabe von Seite 25 bis 31 dokumentierte Beitrag des Teams Adept für den Stadtteil Köln-Kreuzfeld zeigt eine neue Spielart der Gartenstadt: Eingebettet in die Kulturlandschaft entsteht ein Kranz kompakter Quartiere, in denen sich städtisch und dörflich anmutende Stadtbausteine um hybride Freiräume gruppieren – teils mehr als Platz, teils mehr als Allmende konzipiert.

Bis heute erweist sich das Zusammendenken von Urbanität, Wohnqualität und Landschaftsbezug als Gratwanderung. Kreative städtebauliche Lösungen arbeiten mit einer gestuften Dichte und der Kombination von Block, Zeile und Punkt in dichter Packung. Zur Landschaft hin zeigen die Entwürfe teilweise klare Kante oder verzahnen sich mit dem Grün. Entsteht daraus ein faszinierender Städtebau, ist das jedoch nur die Grundlage für Urbanität. Langfristig wird die Stadt am Stadtrand nur dann gelingen, wenn sie eine Bühne für ein vielfältiges öffentliches Leben bietet. Das setzt voraus, dass sich die Stadtgesellschaft zum urbanen Leben bekennt – mit Häusern auf Parzellen, mit sozialer Vielfalt in den Nachbarschaften, einer nachhaltigen Nutzungsmischung und einer belebten Schicht am Stadtraum, getragen von Aktivitäten, die für Frequenz und urbane Atmosphäre sorgen.  

Franz Pesch, März 2022

Prof. Dr.-Ing. Franz Pesch

Franz Pesch

Professor (em.) Dr.-Ing. Architekt und Stadtplaner BDA/SRL
• 1981 Promotion zum Dr.-Ing. (Stadt- und Raumplanung)
• seit 1982 pp a|s Pesch Partner Architekten Stadtplaner, heute mit Standorten in Dortmund und Stuttgart
• Umfangreiche Gutachter- und Beratertätigkeit im In- und Ausland
• Wettbewerbserfolge in den Bereichen Städtebau, Wohnungsbau, Stadtraum
• 1992/93 Gastprofessor an der Gesamthochschule Kassel
• 1994 ­– 2014 Professor für Stadtplanung und Entwerfen am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart
• Geschäftführender Direktor des Instituts Dekan/Prodekan, Mitglied im Universitätsrat

Aktuell
• Seniorpartner im Büro pp a|s
• Fachgutachter, Preisrichter und Mitglied in Gestaltungsbeiräten
Mitglied im Kuratorium Nationale Stadtentwicklungspolitik und Netzwerk Baukultur BW
• Vorsitzender des Fördervereins Baukunstarchiv NRW