Ein Konzerthaus sollte hier, in städtebaulich markanter Lage, eigentlich gar nicht entstehen. Als vor rund 20 Jahren der Wettbewerb „MediaCityPort” Hamburg entschieden wurde, war kurz zuvor der Masterplan für die Hamburger HafenCity verabschiedet worden. 1991, noch mal zehn Jahre zuvor, hatte der damalige Erste Bürgermeister Henning Voscherau die Aufwertung des Gebietes initiiert – diskret, um Areale und Bauten noch vor dem zu erwartenden Preisanstieg in städtischen Besitz zu bringen. Volkwin Marg hatte, ebenfalls diskret, 1996 eine städtebauliche Studie erarbeitet, sodass Voscherau im Mai 1997 die „Vision HafenCity” der Öffentlichkeit anschaulich vorstellen konnte. Bürgerbeteiligung war zu der Zeit in Hamburg nichts, womit sich Politiker profilierten. Wirtschaftsstrategisch war klug agiert worden, um die Stadt handlungsstrategisch in gute Position zu bringen. Baudirektor war Egbert Kossak.
Es geht hier rückblickend also um einen Wettbewerb, der zunächst einen Medienstandort betraf, diesbezüglich aber im Nichts endete. Denn Funktion und damit Architektur, die 2001 juriert wurde, hatten sich nolens volens erledigt. Was war passiert?
1999 folgte den „diskreten” Aktionen von Voscherau und Marg eine offizielle: Hamburg lobte einen städtebaulichen Wettbewerb für die Hafencity aus, den Kees Christiaanse mit ASTOC gewann. Den daraus resultierenden Masterplan für insgesamt zehn Quartiere verabschiedete der Hamburger Senat im Jahr 2000. Eines dieser Quartiere war „Am Sandtorkai/Dalmannkai”, wo 1963 die Reste des von Johannes Dalmann 1875 gebauten, mit einem Uhrturm bestückten „Kaiserspeichers” dem wuchtigen Kaispeicher A von Werner Kallmorgen aus dem Jahr 1963 gewichen war. Hier sollte nun ein Medien-Standort entwickelt werden. Es war ein renommierter, internationaler Wettbewerb, und Architekt*innen legten sich ins Zeug: Den 1. Preis hatten Benthem Crouwel aus Amsterdam mit ei­ner 24-geschossigen, windschiefen Hochhausscheibe gewonnen, die vom Kaispeicher A kaum etwas erkennbar übrig ließ. Den 2. Preis bekam Dominique Perrault aus Paris, der eine vergleichsweise langweilige Büroarchitektur entworfen hatte. Den 3. Preis trugen die Schweizer Gigon/Guyer davon, die drei solide, rechtwinklige Hochhausscheiben in schiefen Winkeln zueinander vorgesehen hatten.
Es kam anders. Was vermieden oder doch gesteuert werden sollte – die Stadtentwicklung durch Private – trat prompt ein. Im Oktober 2001 schlug das kunst- und architekturliebende Ehepaar Alexander Gérard und Jana Marko dem Hamburger Senat eine kulturelle Nutzung am Kaispeicher A vor. Anfänglich skeptisch, zeigte sich der Senat alsbald der Idee zugeneigt. 2001 war übrigens Ole von Beust Erster Bürgermeister. 2003 reichte das Ehepaar Gérard-Marko einen Entwurf von Herzog & de Meuron für ein Konzerthaus nach; es kannte die Schweizer Architekten ganz gut und hatte sie freundschaftlich um einen Entwurf gebeten. Die Baugeschichte der Elbphilharmonie tut hier nun nichts zur Sache. Allein: Der Blick auf die Wettbewerbsergebnisse von 2001 ernüchtert. Den drei Erstplatzierten war es nicht gelungen, ein unverwechselbares Architekturzeichen für das städtebauliche „Grand Projet” HafenCity und mehr zu schaffen. Den Usancen des zeitgenössischen Bürobaus konnten sie sich nicht entziehen, hatten nichts riskiert, was formal so außergewöhnlich wie Herzog & de Meurons Kaispeicher-Aufbau war. Es konnte auch nicht sein, denn eine Media-City ist eben kein Konzerthaus. Ein marktwirtschaftlich zu bauendes Büro-Ensemble kann nicht mit einem Projekt verglichen werden, das das Ergebnis privater Kulturvorlieben und entsprechend spendenbereiter Klientel ist.
Rasch tauchte für das Konzertgebäude der liebliche Name „Elphi” in der Öffentlichkeit auf. Hatte das Kanzleramt von Axel Schultes und Charlotte Frank gleich den Spitznamen „Waschmaschine” weg, manifestierte sich bei der Elbphilharmonie bemerkenswerte Zuneigung – müßig, dafür die hier betörenden Musiker*innen mitverantwortlich zu machen. Oder doch nicht?
In Corona-Zeiten leidet genau die Kultur als begeisternde, unkontrollierbare Kraft, die Menschen zusammenführt und in der Elbphilharmonie symbolisiert ist. Monika Grütters, die als Kulturstaatsministerin die Interessen aller Kulturschaffenden
vertreten sollte, residiert in der Berliner „Waschmaschine”.

zeitreise in wa 2/2021

Dr. Ursula Baus

Dr. Ursula Baus

Studium der Kunstgeschichte, Philosophie, Architektur in Stuttgart und Paris
Redakteurin der db. Danach, 2004, Mitgründerin von frei04 publizistik
seit 2017 Herausgabe des online-Magazins Marlowes.de
Lehraufträge für Architekturkritik und -theorie
Vorsitzende der Schelling Architekturstiftung, im Kuratorium der IBA Basel
Prize Expert beim Mies van der Rohe Award
Verfasserin von Büchern, Essays, Kolumnen